Kennen Sie diese Gedanken? Sie befinden sich mitten im Vorstellungsgespräch, bisher lief alles glatt und auf einmal werden Sie gebeten, über Ihre Kompetenzen und Erfolge zu berichten, die Sie für die Position gewinnbringend einsetzen können. Sie blockieren innerlich und denken: „Jetzt erfahren alle, dass ich eigentlich doch nicht kompetent genug für diesen Job bin und mir einfach die nötige Erfahrung fehlt.“ Wenn Menschen von derartigen Selbstzweifeln geplagt sind, leiden sie an dem sogenannten „Hochstapler-Syndrom“. Doch was genau hat es damit auf sich? Wie können Sie Ihre Selbstzweifel im Bewerbungsprozess und Berufsleben überwinden? Und wie können Sie Storytelling nutzen, um Ihre Kompetenzen und Erfolge in eine für Sie authentische Geschichte einzubinden?

Was ist das Hochstapler-Syndrom?

Bei dem Begriff „Hochstapler:in“ denken viele zuallererst an sogenannte „Blender:innen“, also Menschen, die andere betrügen und hinters Licht führen. Hinter dem Hochstapler-Syndrom verbirgt sich jedoch vielmehr das Gegenteil. Denn hier verfügen die Betroffenen über die notwenigen Kompetenzen, sind jedoch selbst davon überzeugt, dass sie diese gar nicht oder nicht ausreichend vorweisen können. Sie haben das Gefühl, andere zu betrügen, obwohl sie dies gar nicht tun. Die Internationale Hochschule definiert das Syndrom wie folgt:

„Das Impostor-Syndrom, engl. Imposter Syndrome, wird auch als Hochstapler-Syndrom bezeichnet. Dabei handelt es sich um ein psychologisches Phänomen, bei dem Betroffene von massiven Selbstzweifeln geplagt werden. Diese Selbstzweifel betreffen meist beruflichen Erfolg oder Leistungen in Schule, Universität [und Beruf]. Dabei haben Menschen mit diesem Syndrom das Gefühl, sie würden ihr Umfeld auf eine Art und Weise ‚betrügen‘. Sie belastet das ständige Gefühl, auffliegen zu können. Es scheint unmöglich, eigene Erfolge und Fähigkeiten zu internalisieren.”

Doch woher rührt das Hochstapler-Phänomen? Gibt es gewisse Ursachen oder Umstände, die dieses Syndrom auslösen?

Post-it an Flipchart mit Schrift "Impostor-Syndrom"
Menschen mit dem Hochstapler-Syndrom freuen sich nur kurz über Erfolge – wenn überhaupt

Woher kommt das Hochstapler-Phänomen?

Der Begriff „Hochstapler-Syndrom“ wurde im Jahr 1978 in dem Artikel „The Imposter Phenomenon in High Achieving Women“ von Pauline R. Clance und Suzanne A. Imes geprägt. Ihren Untersuchungen zufolge überschätzen zahlreiche äußerst erfolgreiche Frauen die Leistungen anderer Menschen und waren gleichzeitig davon überzeugt, dass sie nicht besonders intelligent seien. Das von ihnen beschriebene „Imposter Phenomenon“ galt zunächst als ein auf Lebenszeit gegebenes Persönlichkeitsmerkmal. Mittlerweile geht man davon aus, dass es eine Reaktion auf bestimmte Ereignisse und äußere Reize darstellt, weshalb das Hochstapler-Syndrom nicht als psychische Störung eingeordnet wird.

Laut Psychology Today wird davon ausgegangen, dass „etwa 25 bis 30 Prozent der Hochleistungssportler:innen unter dem Hochstapler-Syndrom leiden. Und etwa 70 Prozent der Erwachsenen machen mindestens einmal im Leben die Erfahrung des Hochstaplertums, so die Forschung.“

All dies zeigt, dass Sie mit diesen Gefühlen und Gedanken nicht allein sind und ein Großteil bereits in der einen oder anderen Form Zweifel an den eigenen Kompetenzen hatte und sie somit auch schlecht einschätzen konnte. Darüber hinaus wird das Hochstapler-Phänomen häufig von einem geringen Selbstvertrauen begleitet. Die Betroffenen vergleichen sich zudem mit ihren Kolleg:innen und Menschen in ihrem Umfeld, wobei sie ihre eigenen Kompetenzen stets schlechter wahrnehmen und bewerten als die der anderen.

Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung – ein Gegensatz

Der Zusammenhang zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung spielt beim Hochstapler-Syndrom eine entscheidende Rolle. Hinterfragen Sie Ihre eigenen Kompetenzen und beruflichen Erfolge kritisch? Sie selbst wissen am besten, in welchen Bereichen womöglich noch Verbesserungsbedarf bestehen könnte und vergleichen sich mit anderen aus Ihrem (beruflichen) Umfeld. Das Problem dabei ist häufig, dass Sie sich sehr wahrscheinlich mit Personen vergleichen, die bereits deutlich mehr Erfahrung in dem jeweiligen Bereich vorweisen können oder gar als Expert:in auf dem für den Vergleich herangezogenen Gebiet gelten. Dies führt automatisch zu einer Diskrepanz zu Ihrem Nachteil, was Ihre Selbstzweifel weiter verstärkt und Ihrem Selbstwertgefühl schadet.

Ihre Kolleg:innen und Vorgesetzten hingegen beurteilen Ihr Können und Ihre Kompetenzen jedoch von außen und meistens auf der Grundlage Ihrer Leistungen und Erfolge. Dadurch fällt deren Urteil deutlich objektiver aus als Ihr eigenes. Hinzu kommt, dass die meisten Menschen – ob Personaler:innen, Kolleg:innen oder Vorgesetzte – keine Perfektion von Ihnen erwarten und auch wissen, dass diese unmöglich zu erreichen ist.

Der Schlüssel zu weniger Selbstzweifel und mehr Selbstbewusstsein in Bezug auf Ihre eigenen Kompetenzen sowie Ihre Erfolge liegt somit in Ihrer Selbstwahrnehmung und -wertschätzung. Doch wie können Sie diese stärken und zum Positiven verändern?

Frau leidet an Hochstapler Syndrom
Vom Imposter-Syndrom Betroffene sind kompetent und doch in ständiger Angst, als unfähig entlarvt zu werden

Übung: Ihre Kompetenzen und Erfolge erkennen

Eine äußerst effektive Übung, um einen objektiven Überblick über Ihre Kompetenzen und beruflichen Erfolge zu erhalten, ist die folgende Ressourcenübung.

Nehmen Sie sich für diese Übung mindestens eine Stunde Zeit, bereiten Sie mehrere Blätter mit einer Tabelle mit drei Spalten vor, legen Sie sich Schreibutensilien (gerne auch in mehreren Farben) bereit und gehen Sie wie folgt vor:

  1. Schreiben Sie über die erste Spalte „Stationen meiner Ausbildung/Karriere“, über die zweite Spalte „Dafür benötigte und erworbene Kompetenzen“ und über die dritte Spalte „In dieser Zeit verzeichnete Erfolge“.
  2. Nehmen Sie sich Ihren aktuellen Lebenslauf zur Hand und schreiben Sie die erste Ausbildungsstation, die Sie absolviert haben (zum Beispiel Bachelorstudium), in die erste Spalte.
  3. Notieren Sie nun in der zweiten Spalte die fachlichen sowie sozialen Kompetenzen, die Sie dadurch erworben oder dafür benötigt haben (Beispiele für fachliche Kompetenzen: [Fach-]Kenntnisse im Bereich X, Koordinationsvermögen, analytische Fähigkeit / Beispiele für soziale Kompetenzen: Leistungsbereitschaft, Zuverlässigkeit, Kommunikationsfähigkeit). Wenn Ihnen dieser Teil schwerfällt, können Sie auch online nach Ihrer Ausbildung und den entsprechenden Inhalten suchen, um sich Anregungen einzuholen.
  4. In der dritten Spalte notieren Sie Ihre Erfolge während dieser Zeit (zum Beispiel Teilnahme an Wettbewerben, Publikation einer Hausarbeit, Abschluss der Bachelorarbeit / des Studiums etc.).
  5. Gehen Sie nun Ihre einzelnen Ausbildungsstationen (inklusive eventuelle Auslandssemester, -praktika und/oder -aufenthalte), Jobs während des Studiums und Ihre anschließenden einzelnen beruflichen Positionen durch.

Idealerweise gehen Sie die einzelnen Stationen einmal durch, lassen die Seiten eine Nacht oder gar mehrere Tage ruhen und prüfen Sie ein zweites Mal mit etwas zeitlichem Abstand, um weitere Kompetenzen sowie Erfolge hinzuzufügen oder auch umzuformulieren. Falls Ihnen das Aufschreiben in Tabellenform nicht zusagt, können Sie selbstverständlich Ihre eigene Darstellungsform wählen. Hierbei gibt es kein Richtig oder Falsch, Sie können keine Fehler machen, sondern die Übung auf Ihre Weise durchführen.

Reflektieren Sie nun, wie es Ihnen mit dieser Übersicht geht und wie es sich für Sie anfühlt, eine Liste mit all Ihren fachlichen sowie sozialen Kompetenzen und Ihren Erfolgen in den Händen zu halten. Welche Auswirkungen hat das auf Ihre Selbstzweifel?

Wenn Ihnen diese Übung geholfen hat, können Sie im Rahmen eines Karriere-Coachings bei INQUA noch weitere Erkenntnisse in diesem Bereich erlangen. Denn zu Beginn des Prozesses erhalten Sie das sogenannte Kompetenzprofil High Profiling® auf Grundlage eines biografischen Interviews mit Ihrem:Ihrer Coach, welches Ihnen Ihre fachlichen und sozialen Kompetenzen objektiv aufzeigt.

Nachdem Sie nun Ihre Kompetenzen und Erfolge aufgelistet haben, können Sie noch einen Schritt weitergehen und diese mithilfe von Storytelling in eine für Sie authentische Geschichte einbetten. Doch was genau hat es mit Storytelling auf sich? Und wie können Sie dabei vorgehen?

Storytelling – der Schlüssel für ein authentisches Gefühl im Bewerbungsprozess

Geschichten sind ein wichtiges Fundament unserer Identität. Was wir anderen Menschen über uns und unseren bisherigen Weg erzählen, hat eine direkte Rückwirkung auf unsere Selbstwahrnehmung. Daher ist es auch im Bewerbungsprozess hilfreich, Techniken aus dem Storytelling zu nutzen. Mithilfe Ihrer Liste an Kompetenzen und Erfolgen wird es Ihnen deutlich leichter fallen, eine Geschichte zu erzählen, mit der Sie sich wohlfühlen und die Sie auch gerne im Rahmen von Motivationsschreiben und Vorstellungsgesprächen mit anderen teilen.

Die Zutaten für Ihre perfekte Geschichte: Zeit und Feinschliff

Eine gute Geschichte braucht Zeit. In einem ersten Schritt könnten Sie die Geschichte mit Anekdoten aus Ihrer beruflichen Laufbahn, die Ihre eigenen Kompetenzen und Erfolge veranschaulichen, aufschreiben. Nehmen Sie sich dafür so viel Zeit, wie Sie benötigen, und feilen Sie an Formulierungen, bis der Text für Sie stimmig ist. Erzählen Sie die Geschichte anschließend Menschen in Ihrem Umfeld und bearbeiten Sie sie weiter. Wählen Sie dabei Menschen aus, denen Sie vertrauen und vor denen Sie keine Angst haben, Ihre „Rohfassung“ vorzutragen. Oder erzählen Sie die Geschichte sich selbst im Spiegel. So können Sie mehr Sicherheit gewinnen und gehen bestens vorbereitet in ein Bewerbungsgespräch.

Übrigens: Geschichten müssen weder besonders lang noch kompliziert sein – denn in der Kürze liegt oft die Würze. Vor allem im Bewerbungsgespräch genügen einfache und persönliche Anekdoten, die Sie bei Ihren letzten Stationen erlebt haben. Zum Beispiel, wie Sie die letzte Weihnachtsfeier organisiert haben und was Sie dabei über die Vorbereitung von Events gelernt haben. Oder wie Sie ein Problem mit ungewöhnlichem Vorgehen und der Hilfe Ihrer Kolleg:innen doch noch lösen konnten. Oder wie Sie diesen einen Kunden doch überzeugen konnten. Oder, oder, oder … Sie haben die Liste Ihrer Erfolge bereits zur Hand. Nutzen Sie diese als Inspiration.

Stellen Sie sich vor, Sie sind ein:e Regisseur:in und müssen in einem spannenden Kurzfilm das Wesentliche auf den Punkt bringen. Geschichten sind immer eine Verkürzung des Erlebten und eine Reduktion von Komplexität. Daher ist es völlig in Ordnung, dass Sie die Highlights auswählen und die Dinge hervorheben, die Sie besonders wichtig finden.

Geschichten bleiben im Kopf

Was glauben Sie, wer wird nach einem langen Tag voller Vorstellungsgespräche bei den Personalentscheider:innen in Erinnerung bleiben? Der Kandidat, der seinen Lebenslauf von Anfang bis Ende stichpunktartig heruntergebetet hat? Oder die Kandidatin, die eine spannende Geschichte davon erzählen konnte, wie das letzte Herzensprojekt fast gescheitert wäre, es aber durch einen großartigen Teameinsatz und Zusammenhalt doch noch funktioniert hat? Geschichten bleiben im Kopf. Nutzen Sie dies in Ihrer Bewerbungsphase.

Recruiter im Bewerbungsgespräch in einem Start-up
Ein Coaching hilft, die eigenen Kompetenzen richtig einschätzen und im Vorstellungsgespräch interessant vermitteln zu können – so fühlen Sie sich souverän und sorgen für einen bleibenden Eindruck bei Ihrem Gegenüber

Schenken Sie sich Mitgefühl für diesen Prozess und holen Sie sich Unterstützung

Die in diesem Artikel vorgestellte Übung und das anschließende Storytelling sind ein guter Ansatz, um dem Hochstapler-Syndrom entgegenzuwirken, Selbstzweifel zu überwinden und sich im Vorstellungsgespräch souverän zu fühlen und überzeugend zu wirken. Die Selbstzweifel und inneren kritischen Stimmen haben sich oft im Verlauf mehrerer Jahre entwickelt und verstärkt, weshalb sie sich auch nicht von heute auf morgen auflösen lassen. Deshalb ist es ratsam, sich Unterstützung zu suchen, um an diesen Selbstzweifeln und den damit verbundenen Glaubenssätzen zu arbeiten – beispielsweise in einem Coaching.

Zu Beginn eines Karriere-Coachings bei INQUA etwa hilft Ihnen Ihr persönliches Kompetenzprofil High Profiling® dabei, sich Ihrer fachlichen und sozialen Kompetenzen bewusst zu werden und Ihre Stärken zu verinnerlichen. Darüber hinaus erarbeiten Sie sich gemeinsam mit Ihrer:Ihrem Coach eine Art Werkzeugkoffer mit Übungen und praktisch anwendbaren Tipps, um im beruflichen Kontext selbstbewusster und souveräner aufzutreten. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg dabei. Glauben Sie an sich!

Über den Autor:

Johannes Junker I Head of Coaching bei INQUA

Johannes Junker ist systemischer Coach, kreativer Prozessbegleiter und Head of Communications am INQUA-Institut. Als Host des INQUA Karriere-Coaching-Podcasts COACHGEFLÜSTER spricht er regelmäßig mit Expert:innen zu Themen rund um die berufliche Neuorientierung und gibt Tipps für Vorstellungsgespräche, Bewerbung und die persönliche Weiterentwicklung.

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