Am Nebentisch telefoniert die Kollegin mit einem Kunden, woanders klappern Absätze durchs Büro und der Kollege fragt in die Runde, ob jemand mit in die Kantine kommt: Es gibt Currywurst. In der offenen Teeküche erzählen sich zwei ihre Urlaubsgeschichten, während die Kaffeemaschine lautstark die Bohnen für ihre Cappuccinos mahlt. Irgendwo klingelt ein Telefon ins Leere, die Kollegin mit den künstlichen Fingernägeln hackt zum regelmäßigen Sound einkommender E-Mails in die Tastatur. Während sich die einen jetzt fragen, wo das Problem liegt – so klingt sie nun einmal, die schöne neue Arbeitswelt –, stresst die anderen schon das Lesen, weil sie diese Reizüberflutung kennen. Und weil sie sie einfach wahnsinnig anstrengend finden.

Hochsensibel im Büro

In der modernen Bürowelt mit Social Collaboration, Agilen Arbeitsweisen und Großraumbüros gehört die oben beschriebene Szene zum Grundrauschen. Viele Menschen können gut damit umgehen und Störfaktoren in den Hintergrund schieben. Hochsensible Menschen allerdings nehmen nahezu alle Impulse aus ihrer Umwelt bewusst und ungefiltert wahr. Fast jeder ankommende Reiz, egal über welchen Sinn, kann einen Gedanken unterbrechen und die Konzentration stören. Hochsensible hören im wahrsten Sinne des Wortes die Flöhe husten und können sich nicht dagegen wehren. Darum gleich zu Beginn der Hinweis, dass gut gemeinte Ratschläge wie „Du musst das einfach ausblenden!“ völlig fehl am Platz sind. Den perfekten Job für Hochsensible gibt es jedoch genauso wenig, denn jede Person ist verschieden und hat Ihre eigenen Stärken, zu denen auch die Hochsensibilität selbst gehört.

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Heißt das nun, dass hochsensible Menschen für einen Job in einem Großraumbüro völlig ungeeignet sind? Nein, natürlich nicht. Zum einen, weil so pauschale Aussagen immer an der Wahrheit vorbei zielen. Und zum anderen, weil es viele Möglichkeiten gibt, den Arbeitsalltag und die Arbeitsumgebung so zu gestalten, dass auch Menschen mit diesem Persönlichkeitsmerkmal ihre Aufgaben entspannt erledigen können. Am besten geht das, wenn man um die eigene Hochsensibilität weiß und die eigenen Bedürfnisse äußern kann. Das klingt allerdings einfacher, als es ist. Viele Hochsensible werden von Selbstzweifeln geplagt, weil sie glauben, dass sie einfach nicht belastbar sind. Sie halten ihre Empfindsamkeit für eine Schwäche, die es zu verstecken gilt, und suchen nach Strategien, die ihnen dabei helfen sollen, sich zu verändern.

Hochsensibilität ist keine Schwäche

Laut Expert:innen weisen etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung das Persönlichkeitsmerkmal Hochsensibilität auf, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung. Denn, das ist wichtig: DIE Hochsensibilität gibt es nicht. Es gibt Variationsbreiten, die sich grob in drei Bereiche clustern lassen, welche die Art der Wahrnehmung, die Art zu denken und die Art zu fühlen betreffen. Diese Bereiche können vereinzelt oder in Kombination miteinander auftreten, wobei die eine oder andere Art stärker beziehungsweise schwächer ausgeprägt sein kann. Ein „richtig hochsensibel“ gibt es jedenfalls nicht, genauso wenig wie ein „falsch hochsensibel“.

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Hochsensibilität kann sich auf alle fünf Sinne auswirken. So sind einige Menschen akustischen Reizen gegenüber besonders empfindsam, während bei anderen vor allem haptische Eindrücke wirken oder alle fünf Sinne geschärft sind. Auch hier gibt es unendlich viele Möglichkeiten der Ausprägung und Kombination. Viele hochsensible Menschen sind besonders empathisch und haben ein extrem gutes Gespür für zwischenmenschliche Spannungen. Was hochsensible Menschen neben diesen Unterschieden gemeinsam haben, ist die Art und Weise, wie ihr Gehirn Reize verarbeitet. Diese durchlaufen – vereinfacht ausgedrückt – keine Filter, sodass alle Eindrücke als gleich wichtig und gleich „laut“ im Gehirn ankommen. Ein Ausblenden von vermeintlich unwichtigeren Reizen ist damit kaum möglich.

Wie arbeiten hochsensible Menschen?

Hochsensible Menschen sind oft sehr engagiert in ihren Jobs. Die Voraussetzung für viele ist dabei allerdings, dass sie etwas Sinnhaftes tun. Sie brauchen Kontext und Hintergrund. Werte wie Ehrlichkeit, Authentizität und Gerechtigkeit spielen bei der Wahl der Tätigkeit und des Unternehmens eine große Rolle. Hochsensible sind häufig in Berufen zu finden, in denen es darum geht, anderen Menschen zu helfen und etwas für die Gesellschaft oder die Umwelt zu tun. Und natürlich auch in Bereichen, in denen sie ihre Kreativität ausdrücken, analytische Fähigkeiten einsetzen oder Nähe zur Natur herstellen können. Monothematische Arbeit, die kaum Variation bietet, ist eher ungeeignet, denn Hochsensible sind häufig vielinteressierte und vielbegabte Menschen, die Abwechslung lieben.

Entscheidend sind auch das Arbeitsumfeld und die vorherrschende Kultur. In einem Unternehmen, in dem eine Ellenbogenmentalität gepflegt wird, werden hochsensible Menschen auf Dauer nicht glücklich. An dieser Stelle könnte der Eindruck entstehen, dass Hochsensible für eine Führungsposition nicht geeignet sind. Das liegt aber daran, dass man mit Führungskräften noch immer längst überholte Eigenschaften assoziiert – wie zum Beispiel Skrupellosigkeit oder ein gewisser Hang zum Narzissmus. Tatsächlich sind hochsensible Chef:innen in einer modernen Arbeitswelt, in der es um Servant Leadership (dienendes statt beherrschendes Führen), Mitarbeiter:innen-Fokus und Entwicklung durch Feedback geht, eine ziemlich gute Wahl.

Ich bin hochsensibel – und jetzt?

Mann mit Kopfhörern codiert am Laptop
Hochsensibilität ist keine Schwäche! Schauen Sie stattdessen, wie Sie Ihre „Ausrüstung“ am besten einsetzen und sich eine angenehme Arbeitsumgebung schaffen können. Passende Jobs für Hochsensible gibt es viele.

Wenn Sie das Persönlichkeitsmerkmal Hochsensibilität aufweisen, ist es zunächst wichtig, dass Sie sich damit anfreunden. Denn, wie Sie wissen: Hochsensibilität ist keine Schwäche. Beginnen Sie mit einer Selbstanalyse und schauen Sie, was das eigentlich ist, was Sie da mitbringen. Welche Facetten sind bei Ihnen besonders ausgeprägt? Was macht Sie aus? Versuchen Sie, nur festzustellen und nicht zu werten. Im nächsten Schritt geht es darum, zu schauen, wie Sie Ihre „Ausrüstung“ am besten einsetzen. „Keine Kompetenz ist an sich gut oder schlecht“, sagt INQUA Karriere-Coach Andrea Nägel. „Es kommt auf die Intensität und den Kontext an.“ Liebe zum Detail zum Beispiel kann bei der finalen Ausarbeitung eines Designs eine gute Eigenschaft sein. Wenn Sie aber aus Liebe zum Detail Ihre PowerPoint-Präsentation nicht zum vereinbarten Termin fertig bekommen, haben Sie ein Problem.

Holen Sie sich Unterstützung, wenn Sie sich überfordert fühlen. Freund:innen, Familie und Kolleg:innen können Ihnen wertvolles Feedback geben, das Ihnen dabei hilft, Ihre Stärken und Schwächen zu erkennen und realistisch einzuschätzen. Vielleicht ist auch ein professionelles Coaching der richtige Weg für Sie. Das INQUA-Institut hat für sein zertifiziertes Angebot die wissenschaftlich erprobte Methode High Profiling® entwickelt. Das ist ein besonderes Coaching-Instrument, das Ihnen Ihre fachlichen und sozialen Stärken, aber auch mögliche Stolpersteine bewusst macht. Es hilft Ihnen, herauszufinden, welche Arbeitsbereiche zu Ihnen und Ihren Fähigkeiten passen. Die INQUA Job-Coaches nehmen sich die Zeit, mit Ihnen gemeinsam Ihr persönliches Profil zu entdecken. Eine Chance, die Sie nutzen sollten. Mit einem AVGS-Gutschein vom Jobcenter ist das INQUA Karriere-Coaching sogar kostenlos für Sie.

Mein:e Mitarbeiter:in ist hochsensibel – und jetzt?

Wenn Sie Führungskraft einer hochsensiblen Person sind, brauchen Sie jetzt nicht in Panik geraten. Sie haben vermutlich eine:n gewissenhafte:n Mitarbeiter:in in Ihrem Team, der:die hin und wieder eine Auszeit vom wuseligen Treiben braucht. In einer reizarmen Umgebung ist er:sie wahrscheinlich äußerst produktiv und kreativ. Sorgen Sie dafür, dass es Rückzugsräume gibt – im Zweifel können das auch Noise-Cancelling-Kopfhörer sein. Weniger gut umgehen kann Ihr:e Mitarbeiter:in vermutlich mit Zeitdruck und Wettbewerbssituationen. Allerdings sind die Ansprüche an einen Arbeitsplatz nicht verallgemeinerbar. Darum ist die beste Idee, die Person direkt anzusprechen und zu fragen: „Was brauchst du? Was kann ich tun, damit du dich wohlfühlst und entspannt arbeiten kannst?“

Berufe für hochsensible Menschen

Noch einmal zur Erinnerung: DIE hochsensible Persönlichkeit gibt es nicht – dementsprechend gibt es auch nicht DEN passenden Beruf für Menschen mit diesem Persönlichkeitsmerkmal. Trotzdem gibt es Bereiche, die etwas besser passen als andere. Die folgende Liste soll mit Beispielen zur Inspiration dienen, die Bandbreite der möglichen Berufe für Hochsensible ist groß.

Berufe mit Bezug zu Menschen:

  • Dozent:in, Lehrer:in
  • Sozialarbeiter:in
  • Therapeut:in oder Coach:in
  • Pädagog:in

Berufe mit Bezug zur Natur:

  • Tierpfleger:in
  • Forstwirt:in
  • Gärtner:in
  • Landschaftsplaner:in

Berufe zur Entfaltung der Kreativität:

  • Journalist:in oder Autor:in
  • Designer:in
  • Fotograf:in
  • (Innen-)Architekt:in

Berufe zur Entfaltung der analytischen Fähigkeiten:

  • Controller:in
  • Programmierer:in
  • Laborant:in
  • Mechaniker:in

Über den Autor:

Johannes Junker I Head of Coaching bei INQUA

Johannes Junker ist systemischer Coach, kreativer Prozessbegleiter und Head of Communications am INQUA-Institut. Als Host des INQUA Karriere-Coaching-Podcasts COACHGEFLÜSTER spricht er regelmäßig mit Expert:innen zu Themen rund um die berufliche Neuorientierung und gibt Tipps für Vorstellungsgespräche, Bewerbung und die persönliche Weiterentwicklung.

Weitere Links zum Thema:

COACHGEFLÜSTER Karriere-Coaching Podcast – Hochsensibilität im Job

COACHGEFLÜSTER Karriere-Coaching Podcast – Erkenne deine Werte! Berufswahl und Jobsuche leicht gemacht

Kompetenzprofil High Profiling® – Ihren Stärken auf der Spur

Ressourcenorientierte Genogrammarbeit im Karriere-Coaching

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