Hand aufs Herz: Haben Sie heute schon einen Fehler auf der Arbeit gemacht? Eine E-Mail mit Tippfehler versendet? Am Kaffeeautomaten die falsche Taste gedrückt? Oder die Kollegin aus dem Büro nebenan mit dem falschen Namen angesprochen? Vermutlich schon, denn solche Fehler passieren uns allen, jeden Tag. Sie sind verzeihlich und darum vergessen wir sie schnell wieder. Wenn von beruflichem Scheitern die Rede ist, sind Fehler in einer anderen Größenordnung gemeint. Vielleicht haben Sie schon einmal ein Projekt so richtig gegen die Wand gefahren, einen großen Etat verloren oder eine wichtige Deadline gerissen. Solche beruflichen Rückschläge lassen sich weniger gut wegstecken und bleiben uns lange im Gedächtnis. Nicht alle Menschen können einfach auf den Modus „aus Fehlern lernen“ umschalten. Häufig werden sie als persönliches Scheitern empfunden – im schlimmsten Fall kann das sogar in einen Burnout oder eine Depression führen.

Je mehr Verantwortung wir im Job übernehmen, desto größer können die Auswirkungen unserer Fehler sein. Umso wichtiger ist es, schon im Vorfeld an der eigenen Haltung gegenüber Fehlern zu arbeiten und einen guten Umgang mit möglichem Scheitern zu entwickeln. „Was ist, wenn wir uns das Scheitern neu denken – als eine der sichersten Routen zum kreativen Erfolg statt als Weg ins Verderben?“ fragt Erik Kessels in seinem Buch ,Fast pefrekt. Die Kunst, hemmungslos zu scheitern. Wie aus Fehlern Ideen entstehen.‘ „Vielleicht sind die Irrtümer und Umstände, die bei sogenannten Fehlschlägen zusammentreffen, gar keine üblen Feinde, sondern eher die entscheidenden Bausteine zum Erschaffen von etwas Neuem, Aufregendem?“ Kessels Vorschlag mag utopisch klingen. Tatsächlich ist er eine Beschreibung der Realität. Aber wie kann ich Scheitern als Chance sehen?

Die Chance grandios zu scheitern

Scheitern birgt InnovationStellen Sie sich vor, Sie sind Chemiker:in und bekommen gleich nach Ihrem Studium einen Job bei einem großen Konzern. Ihr:e Chef:in beauftragt Sie damit, einen neuen Klebstoff zu erfinden. Einen, der stärker und leistungsfähiger ist als alles, was es bislang auf dem Markt gibt. Sie bekommen Zeit und die notwendigen Mittel, um diese Aufgabe zu lösen. Doch am Ende können Sie nur einen Klebstoff präsentieren, der zwar haftet, sich aber sehr leicht und rückstandslos ablösen lässt. In einem Satz: Sie sind grandios gescheitert. Vermutlich haben Sie erkannt, dass es sich hier um die Geschichte des Chemikers Spencer Silver handelt, der in den 1960er Jahren für die Firma 3M gearbeitet hat. Der von ihm erfundene Klebstoff war zwar nicht das passende Ergebnis für die Aufgabe, die ihm sein Chef gestellt hatte. Aber Silvers Klebstoff war die Lösung für ein Problem, das noch gefunden werden musste.

Bei 3M versuchte man zunächst, den Klebstoff für eine Art Pinnwand ohne Pins zu nutzen. Dabei handelte es sich um ein Board, das mit Silvers Klebstoff bestrichen wurde, damit sich Zettel anheften und ablösen ließen. Das Board verkaufte sich nicht gut und wurde schnell wieder vom Markt genommen. Man war ein weiteres Mal gescheitert. Es dauerte noch ein paar Jahre, bis Art Fry, ein Kollege von Spencer Silver, auf die Idee kam, den Klebstoff für Lesezeichen zu verwenden. Lesezeichen, die auf Buchseiten oder Notenblättern haften und sich wieder ablösen lassen, ohne diese zu zerstören. Das Post-it war geboren. Heute lassen sich die bunten Klebezettel aus dem Alltag kaum noch wegdenken. Von der US-Zeitschrift Fortune wurden sie sogar zu einer der wichtigsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts erklärt – neben unter anderem dem Kühlschrank, der Boeing 707 und der Compact Disc.

Wieso ist Scheitern eine Chance?

Die Erfolgsstory der Post-its ist nur eine von unzähligen Geschichten über Erfindungen und Entdeckungen, die eigentlich gar nicht gemacht werden wollten. Penicillin, Coca Cola oder der Herzschrittmacher gehören ebenfalls dazu. Die Protagonist:innen dieser Geschichten sind Menschen, die an ihren ursprünglichen Aufgaben gescheitert sind. Im unerwarteten Resultat haben sie – oder andere – eine Chance entdeckt und im besten Fall ein innovatives Produkt auf den Markt geworfen. Nun führt sicherlich nicht jeder Fehlschlag zu einer bahnbrechenden Erfindung. Das Prinzip, Scheitern als Chance zu sehen, lässt sich aber auch im Kleinen beobachten. Vor allem in Start-ups, aber auch in immer mehr Konzernen finden wir es sogar als bewusst angewandte Projektmanagement-Methode. Sie nennen es „Agiles Arbeiten“ – und sie halten damit ganz nebenbei die Post-it-Industrie am Laufen.

„Fail early, fail often“ – „scheitere früh, scheitere häufig“ – ist ein Leitsatz, der dieser Arbeitsweise zu Grunde liegt. Damit sollen Projektbeteiligte nicht dazu angehalten werden, bewusst Fehler zu machen. Es geht vielmehr darum, existierende Fehler in einem sehr frühen Stadium des Projekts zu entdecken, zu einem Zeitpunkt, zu dem sie noch gut händelbar sind. Das ist absolut sinnvoll, denn Fehler werden immer teurer, je später im Entwicklungsprozess sie entdeckt werden. „Agiles Projektmanagement“ bedeutet vor allem, dem Projektteam viele Gelegenheiten für Feedback einzuräumen. Und „Agile Projektarbeit“ bedeutet, Fehler nicht zu vertuschen, sondern offen anzusprechen sobald sie auffallen. Jeder Fehler, jedes Scheitern ist ein Erkenntnisgewinn auf dem Weg zum Ergebnis. Denn jeder Fehler, der im Entwicklungsprozess behoben werden kann, verbessert das Endprodukt.

Der persönliche Umgang mit dem Scheitern

Das Prinzip des „Agilen Arbeitens“ ermöglicht einen neuen, konstruktiven Umgang mit Fehlschlägen. Wenn der Zeitpunkt des Scheiterns nicht mehr als ein Ende, sondern als ein Wendepunkt einer Geschichte oder eines Projekts definiert wird, bekommen die Beteiligten die Möglichkeit, aus ihren Fehlern zu lernen. Sie werden leichter verdaulich, und das gilt sowohl für die Unternehmen, als auch für die Mitarbeiter:innen. „Scheitern ist ein Format, aus dem ich lernen kann“, sagt Birgit Rüdesheim, INQUA Karriere-Coach am Standort Berlin. „Fehler sind eine Gelegenheit, mich weiterzuentwickeln.“ Mit ihren Coachees arbeitet sie daran, einen konstruktiven Umgang mit beruflichen Rückschlägen zu entwickeln. „Ich finde es wichtig, dass die Coachees reflektieren und schauen, wie es zum Scheitern kam“, sagt sie. „Zum Reflektieren gehört auch, sich wirklich ernsthaft und liebevoll zu fragen: Wofür war das gut?“

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Wer sich diese Frage stellt, kommt vielleicht auf ganz andere Gedanken und sieht Dinge, die unsichtbar bleiben, solange man sich auf das Scheitern fokussiert. Es kann ebenfalls hilfreich sein, nicht nur sich selbst, sondern andere Menschen zu fragen. „Über berufliches Scheitern reden entlastet das eigene Gefühl“, sagt Birgit Rüdesheim. „Außerdem werde ich häufig überrascht sein, wie viele Menschen ähnliche Erfahrungen gemacht haben.“ Aus dieser Erkenntnis wurde ein Prinzip beziehungsweise ein Event-Format abgeleitet, die so genannten „Fuckup Nights“. Dabei handelt es sich um Veranstaltungen, bei denen sich Menschen auf eine Bühne stellen und quasi öffentlich über ihr Scheitern berichten. Von so einer „Fuckup Night“ können sowohl die Gescheiterten als auch das Publikum profitieren.

Wie lerne ich, mit beruflichen Rückschlägen umzugehen?

Wer schon einmal versucht hat, sich das Kaffeetrinken oder das Rauchen abzugewöhnen, weiß, wie schwer es ist, liebgewonnene Laster loszuwerden. So schädlich sie auch sind. Das gilt genauso für die innere Haltung. Wer einen konstruktiven Umgang mit eigenen Fehlern lernen möchte, kann Gefahr laufen, an den eigenen Ansprüchen zu scheitern. Hierbei kann ein professionelles Karriere-Coaching unterstützen. Unsere Coaches begleiten Sie mit Hilfe eines wissenschaftlich fundierten und evaluierten Prozesses dabei, einen neuen Umgang mit beruflichen Rückschlägen zu entwickeln und Ihre professionelle Zukunft neu zu gestalten.

5 Tipps zum Umgang mit Scheitern

  1. Gehen Sie in den Austausch: Ziehen Sie sich nicht zurück, sondern sprechen Sie mit anderen über das, was Ihnen passiert ist. Gehen Sie zu „Fuckup Nights“ und hören Sie sich die Geschichten von anderen Gescheiterten an. Das entlastet und tröstet, weil Sie sehen, Sie sind nicht die:der Einzige.
  2. Reflektieren Sie konstruktiv: Wie kam es zu dem Fehlschlag? Was habe ich stattdessen erreicht? Was steckt an neuen Möglichkeiten darin? Habe ich vielleicht sogar ein anderes Problem abgewendet?
  3. Ziehen Sie konstruktive Schlüsse: Was habe ich gelernt? Wie kann ich verhindern, dass so etwas noch einmal passiert? Welchen blinden Fleck habe ich entdeckt – und vielleicht bearbeitet? Wie können andere von meinen Erkenntnissen aus dem Fehlschlag profitieren?
  4. Arbeiten Sie an einer neuen Haltung: Versuchen Sie, Scheitern als Chance zu sehen und es in Ihr Denken und Arbeiten zu integrieren.
  5. Holen Sie sich Unterstützung: Ein Coaching kann Ihnen dabei helfen, einen konstruktiven Umgang mit Rückschlägen, Fehlern und dem Scheitern an sich zu erarbeiten.

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Literaturtipp:

Erik Kessels: Fast pefrekt! Die Kunst, hemmungslos zu scheitern. Wie aus Fehlern Ideen entstehen.

Über den Autor:

Martin Hertkorn

Dr. Martin Hertkorn ist promovierter Soziologe, Seniorcoach (DBVC) und gründete 1997 das INQUA-Institut für Coaching in Berlin. Als Coach und Leiter des INQUA-Instituts ist er Experte für die Methodik, den Aufbau und die stetige Weiterentwicklung des Karriere-Coachings. Die von ihm entwickelten Methoden High Profiling® und die Ressourcenorientierte Genogrammarbeit stellen bis heute die zentralen Bausteine des INQUA Karriere-Coachings dar.

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